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Maria Hellmann

Januar

Hinweisschild Pronto Socorso

Möglicherweise enttäusche ich jetzt.

Mein erster Italienbericht kommt aus Deutschland. Warum? Weil wir mal wieder über die Alpen gefahren sind, hin zur zurückgelassenen Familie, zu den Freunden und all den Ärzten, mit denen wir ein appuntamento haben, damit sie uns anzapfen und abklopfen können.

Ist der italienische Wohnsitz kein Erstwohnsitz, also nur ein seconda casa, dann gibt es  keine Residenza und somit auch keine Tessera sanitaria, kein Versicherungskärtchen. Da wir diese Vorraussetzungen alle erfüllen, bleibt uns nur die Gesundheitskarte aus Deutschland, die wir, laut EU-Richtlinien einsetzen könnten. Dazu braucht es Arzttermine, die in der Regel nicht zeitnah zu den Beschwerden vergeben werden, und hat man einen, hat der Arzt möglicherweise keine Lust auf den bürokratischen Aufwand, oder keine Ahnung vom Procedere.

Das ist der Moment, in dem die Bedeutsamkeit von Beziehungen, also conoscenze, offenkundig wird.

Da sind die Dottoressa in der Nachbarschaft, die landhausbesitzenden Ärzte aus Deutschland und selbst der Geometra, der sich einst um die Wiederherstellung unseres Rustico gekümmert hatte, verfügt über Kontakte, die der körperlichen Wiederherstellung dienlich sein können.

Liegt etwas Akutes vor, weil man von der Leiter gefallen ist, die Hand in die Kreissäge kam oder das Herz mit Stillstand droht, dann ist das Pronto soccorso zuständig, die Notfallaufnahme in jedem Krankenhaus. Pronto ist mit schnell zu übersetzen, was relativ sein kann und die Wartezeit Stunden in Anspruch nimmt. Dann hat man in der Regel die Farbe Grün bekommen. Orange und insbesondere Rot haben den Vortritt. Eine umgekehrte Ampelsituation, der Verletzungsgrad bestimmt den Rang. Das ganze ist GRATIS und ich frage mich immer, beim Anblick der überfüllten Warteräume, wie das mit der Finanzierung hinhaut.

Auch wenn ich nicht den Großteil meines Lebens in Italien verbracht habe, so hoffe ich doch, dass sich die hiesige hohe Lebenserwartung mit einem brauchbaren Prozentsatz noch niederschlagen kann. Die Marken stehen diesbezüglich in der Statistik ganz weit oben …

 

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Frühlingserwachen mit Tulpen

Heute habe ich Tulpen gekauft. Nicht, um dem mehrwöchigen Grau in Deutschland einen stimmungsaufhellenden Farbtupfer zu verpassen, nein, um der guten Stimmung noch eins draufzusetzen … Ich bin zurück in Italien!

Schon beim Discounter bemerke ich die Entschleunigung. Die Kassiererin hat nicht schon das Wechselgeld in der Hand, bevor ich überhaupt alles im Einkaufswagen habe. Die Kollegin in Deutschland möchte nicht, dass ich nach Kleingeld suche, sie will, dass ich an ihrer Quote mitarbeite und offensichtlich verhält sich ein Großteil der Kundschaft kooperativ.

Ich verliere diese geforderte Schnelligkeit nach einer gewissen Abwesenheit, was sich auch beim Verkehrsverhalten niederschlägt. Genau genommen müssten ich und mein Auto in gewissen Abständen in ein Großstadttrainingslager mit Zusatzstunden für den Feierabendverkehr, insbesondere bei Dunkelheit und regennasser Fahrbahn.

Aber jetzt bin ich erst einmal wieder hier, die Tulpen liegen in Zeitungspapier eingewickelt auf dem Beifahrersitz und ich rolle entschleunigt unter einem stahlblauen Himmel durch eine Hügellandschaft, die im Januar durchaus frühlingshafte Spuren aufweisen kann.

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Ich bekam ein Buch geschenkt.

ERKLÄR MIR ITALIEN!

Ein Gemeinschaftswerk von Roberto Saviano und Giovanni di Lorenzo mit dem Untertitel:

Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?

 

Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich die Gebrauchsanweisung zu dieser aufgeworfenen Frage möchte. Möchte gar nicht aufgelistet bekommen, was alles zur Verzweiflung treiben kann. Mir reicht, was ich ohne Lektüre schon weiß, bzw. erleben darf.

 

Es gibt aber auch Momente, wo ich anerkennend mit dem Kopf nicke. Wo ich das Gefühl habe, da läuft etwas reibungs- und diskussionslos ab. Wie zum Beispiel das Rauchverbot. Das liegt zwar schon ein paar Jahre zurück, und entgegen meiner Befürchtungen wurden die Italiener mit ihrem beispiellosen, korrekten Verhalten sogar Vorreiter in Europa. Von heute auf morgen hingen die Verbotsschilder in allen betroffenen Örtlichkeiten und die Italiener, obwohl eher untypisch, hielten sich daran.

Seit dem 1. Januar nicke ich wieder anerkennend mit dem Kopf.

Die Plastiktüten in den Supermärkten sind per Gesetz biodegradabile e compostibile. Ob ich Gemüse oder Obst eintüte, das neue Material ist kompostierbar und braucht nicht mehr die zehn bis zwanzig Jahre, bis es verrottet ist. 1 Cent wird mir pro Tüte berechnet, da muss ich gar nicht drüber nachdenken, auch wenn andere Gedanken die Runde machen, ob sich da nicht wieder eine Vetternwirtschaft dahinter verbirgt. Für mich zählt der Nutzen für die Umwelt und … ich muss nie mehr Tüten für den umido- organico, den kompostierbaren Hausmüll kaufen!

Ist das jetzt eine Win-Win-Win-Situation?

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Februar

Heute habe ich mit meinen Enkelkindern geskypt. Ein Wikinger, ein Einhorn und eine Fee drängten sich auf unserem Bildschirm. Karneval am Rhein.
Als sie ihre Jutetaschen holten, um uns die Ausbeute vom Rosenmontagszug in die Kamera zu halten, sahen wir keinen Wikinger, kein Einhorn und auch keine Fee mehr. Sie verschwanden hinter prallgefüllten umweltfreundlichen Beuteln und ich fragte mich, ob die Freude über ein paar schwer ergatterte Bonbons nicht größer gewesen wäre.
Ich persönlich gehöre zu den Schunkelverweigerern. Brauche keine Tollität, die der fünften Jahreszeit vorsteht, ich versuche das ganze Jahr über ohne Pappnase lustig zu sein.
Hier in Italien mache ich eine Ausnahme. Wenn ich gerade im Lande bin, gehe ich gerne zu den dörflichen “sfilate di carnevale”. Es ist ein sympathisches Treiben ganz ohne Alkohol, aber dafür mit jeder Menge Konfetti, das die verkleideten Kinder immer wieder vom Boden aufkratzen und den Umzugswagen hinterherwerfen. Die werden von mächtigen Traktoren gezogen und weil die Zahl so übersichtlich ist, sind mehrere Dorfrunden eingeplant.
Spuren von Konfetti finde ich lange nach Aschermittwoch noch im Auto, in den Schuhen, in der Handtasche, in der Kapuze vom Mantel, in …

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Die Osterglocken haben ihren diesjährigen Auftritt schon so gut wie hinter sich. Hier in Italien blühen sie niemals zeitnah zur Eiersuche, können ihrem Namen also keine Ehre machen. Auf italienisch heißen sie TROMBONE, mit “Posaune” zu übersetzen, was immer sie auch rausposaunen mögen …

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Ich schaute mir gerade „Wunderschön – Süditalien“ aus der Mediathek an. Die Moderatorin saß mir in kurzen Ärmeln gegenüber und stieß den Satz „Italia che bella!“ aus.
Sie liebe dieses Land, … das blaue Meer, die kleinen Buchten, die luftigen Kleider, … endlich mal das stickige Zeug vom Leib!
Ich trage heute Stickiges und das werde ich auch noch die nächsten Wochen tun, denn auch in Italien gibt es einen Winter. Ein Winter, dem der Italiener nicht gerne mit Wärme trotzt. Ich friere in der Bar, in manchem Ristorante, im Wartezimmer des Zahnarztes, im Kino, im Theater, beim Töpferkurs, in Hotels und bei einigen italienischen Freunden, wenn sie zu dieser Jahreszeit zum Abendessen laden. Dann trage ich schon mal Skiunterwäsche …

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Im ganzen Haus riecht es nach Orangen.
Ich habe Marmelade gekocht. Marmeladekochen gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Im Winter sind die Orangen dran. Die kaufe ich beim „Sizilianer“, wenn montags im Dorf Markt ist. “Non trattate” steht auf der handgeschriebenen Pappe. Die Orangen sind unbehandelt und schmecken wunderbar. Wir essen sie roh, sie kommen in den Salat, es gibt Vorspeisen und Hauptgerichte, in denen sie eine Rolle spielen und ich zaubere Nachtische. Wenn sich der „Sizilianer“ Anfang April von mir verabschiedet, macht mich das ein bisschen traurig. Aber auch nur ein bisschen, denn dann kommt der Frühling …

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Heute gingen siebzehn Minuten von dreißig in den italienischen Nachrichten ans Wetter.
Es hat geschneit.
In Rom waren es zehn Zentimeter, die für den Ausnahmezustand reichten. Der öffentliche Verkehr brach zusammen, teilweise blieben die Geschäfte geschlossen, die Kinder hatten schulfrei und wer konnte, fuhr im Circus Maximus Schlitten. Eine Armada von Reportern kämpfte sich durchs Chaos, befragte frierende Menschen an den Bushaltestellen, Schnee schippende Ladenbesitzer, städtische Skilangläufer und interviewte schlechtgelaunte Autofahrer beim Anlegen der Schneeketten, wobei dem Gesagten nicht immer zu folgen war, wegen der Montageanleitung zwischen den Zähnen.
Unsere Nachbarn traf ich im Garten. Sie spielten mit ihren Kindern im Schnee. Keine Schule, kein Kindergarten und auch der Papa, der in einer „Carrozzeria“ arbeitet, blieb zu Hause. Der wird danach Überstunden machen müssen, nicht wegen der Abwesenheit aufgrund höherer Gewalt, sondern wegen all der Blechschäden, die die ungewohnten Straßenverhältnisse mit sich bringen.
Unsere Katze will nicht mehr raus. Ein Rotkehlchen hüpft völlig entspannt auf unserer schneefreien Terrasse. Ich habe Nüsse kleingehackt. Es soll ihm gut gehen …

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Ich habe eine Maus gekauft. Eine Spielmaus für die Katze. Seit die Landschaft unter Schnee begraben liegt, möchte sie nicht mehr raus. Unsere Katze mag keine Veränderungen. Schon gar nicht solch allumfassenden.
Mittlerweile langweilt sie sich im häuslichen Schutzraum. Wenn sie nicht auf meinem Schoß lungert, krallt sie sich in den leinenen Vorhängen fest. Die Maus ist ein voller Erfolg. Schoß und Vorhänge wurden entlastet.
Ich hätte auch ein Modell „Vogel“ bekommen können. Das hat mir etwas Entrüstung entlockt. Die Kaufentscheidung „Maus“ macht mir gerade ein schlechtes Gewissen …

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Drei Tage später …
Die Maus wurde fachgerecht zerlegt. Ich bin froh, dass die Schneeschmelze massiv eingesetzt hat! Die Katze auch …

März

Sorry, gerade abwesend!

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Der Schacht auf dem Foto ist ein Beispiel. Mein Mann hat für mehrere solcher Schächte auf dem Grundstück gesorgt.

Unsere Außenbeleuchtung ist ausgefallen. Das Haus lag im Dunkeln, als wir aus Deutschland wiederkehrten. Und nun tappt mein Mann im Dunkeln, wo denn der Fehler liegt. Grund ist auf jeden Fall die Wasser (Schneeschmelze, gefühlter Dauerregen), das hat die Verteilerdosen in den pozzetti geflutet. Aber welche?

Wir hätten auch auf totalen Stromausfall tippen können, denn bei uns kommt generell nicht die Strommenge an, die ankommen sollte. Das macht uns manchmal das Leben schwer. In zwei Photovoltaikanlagen und in eine Wärmepumpe haben wir investiert. Ist die Spannung im Netz zu schwach, schalten sich unsere stromproduzierenden Anlagen ab. Die schalten sich aber auch ab, wenn die Leitungen überlastet sind, weil in der Nachbarschaft zu wenig konsumiert wird. Dann ruft mein Mann mich an die Haushaltsgeräte. Waschmaschine, Spülmaschine, Bügeleisen, Backofen …

Heute Abend werde ich den Backofen allerdings anmelden müssen, damit ich die Lasagne für la cena reinschieben kann. Dafür muss die Wärmepumpe aus und die Bang&Olufsen darf keinen Ton mehr von sich geben. Während wir die Lasagne essen, dürfen wir wieder Musik hören …

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Heute bekam ich zum Frühlingsanfang eine WhatsApp aus Deutschland …

Bildergebnis für Ich bin absolut gegen Gewalt an Frauen aber Frau Holle bekommt bald eine aufs Maul

Hier in Italien schneit es zwar nicht (zumindest nicht bei uns in den Marken), aber die Temperaturen kann man ” im Keller” bezeichnen und der Regen dürfte auch mal nachlassen!

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Heute morgen hätte ich dann doch gerne die Adresse von Frau Holle …

 

 

 

 

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In Italien suchen die Kinder keine Ostereier. Das liegt vielleicht an den übergroßen Exemplaren, die ganz leicht zu finden wären und sich somit das Verstecken gar nicht lohnt. Das Riesen-Ei ist innen hohl und bietet Platz für eine kleine Überraschung, von dem so manches Kinderherz noch gar nicht wusste, dass es dafür schlagen sollte.

 

 

„Colomba pasquale“ heißt der Osterkuchen in Form einer Taube. Schmeckt wie der „Panettone“ zu Weihnachten, was an den identischen Zutaten liegt. Es ist also die Form, die den Unterschied macht. Wir könnten unserem Christstollen Ohren verpassen …

 

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April

 

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Es ist das vierzehnte Mal, dass wir Ostern in Italien feiern. Auch wegen der Hoffnung, auf das bessere Wetter. Heute Morgen hatte es geregnet.

Es ist schon einige Jahre her, dass wir mit einem Bauern ins Gespräch kamen, der meinte, dass es an einem der Osterfeiertage immer regnet. Seit er denken kann. Der Bauer war achtzig Jahre alt. Bisweilen hat er Recht behalten …

 

Ostermontag waren wir wandern im Hinterland von Urbino. Wir waren ganz alleine unterwegs, trafen keine Menschenseele, denn die waren offensichtlich alle in dem Universitätsstädtchen mit viel geschichtlichem Hintergrund (Federico da Montefeltro). Das ließ sich am Parkplatzmangel ausmachen, als wir nach zweieinhalb Stunden Traumlandschaft noch ein wenig Kultur und ein „Gelato“ zu uns nehmen wollten. Wir umfuhren auf der Suche nach einem Parkplatz die Stadt, entfernten uns beträchtlich (mein Mann plädierte für den direkten Nachhauseweg) und kamen dann irgendwo illegal zum Stehen. Man kann von einer zweiten Etappe sprechen (zwar ohne Rucksack und Wanderstöcken), bis wir den Palazzo Ducale erreichten und eins mit der Menschenmenge wurden. Die Museen hielten sich an den Montag. Ich nahm Nocciola, Stracciatella und Pistacchio …

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Unser Kirschbaum blüht!

Unser Kirschbaum blüht jedes Jahr, aber nicht in jedem Jahr folgt der Blüte eine Ernte. Das kann an den Zuhause gebliebenen Bienen liegen, weil ihnen zu kalt war (heute brummte es im Baum und ich freue mich, dass überhaupt noch Bienen da sind!) oder am Röteln, wenn die  erst erbsengroßen Kirschen schon Farbe bekommen oder an den Amseln, die ihre Nester bevorzugt in baumnähe bauen, damit der Fressplatz nur zwei Flügelschläge entfernt liegt.

Im letzten Jahr haben wir das Netz, das man zur Olivenernte unter den Bäumen ausbreitet, über die reifenden Früchte geworfen. Die Amseln haben geschimpft! Und was ist jetzt ein Rohrspatz?

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Die Japaner haben Zen-Gärten. Die Japaner harken mit bedächtigem Tempo Linien in den Kies. Das ist Meditation.

Wir haben auf unserem Grundstück am Haus in Italien viel Kiesfläche. In unserem Kies macht sich Unkraut breit. Und weil ich das Übel mit der Wurzel fassen möchte (bin gegen Chemieeinsätze), lege ich Hand an. Sobald die Sonne die Steine erwärmt, sitze ich stundenweise auf meinem Hintern und zupfe. Das ist für mich Meditation. Die Leute, die am Grundstück vorbeikommen (es sind glücklicherweise wenige), wissen nicht, dass ich meditiere. Die halten mich für …

Wir haben 45 Olivenbäume.

Die meisten davon haben wir als kleine Ruten mit etwas Geäst vor zwölf Jahren selbst in die Erde gebracht. Mittlerweile haben sie sich zu richtigen Bäumen entwickelt, und wenn mein Mann im Frühjahr zum Schnitt ansetzt, ist das für mich meist ein Grund zur Besorgnis. Da liegen Berge von Ästen am Boden, wie beim Frisör die Haare.

Ich darf nichts sagen, das ist sein Revier. Das Redeverbot kompensiere ich gerne mit Poesie.

 

MEIN MANN DER SCHNEIDET DIE OLIVEN … wo ist nur der Baum geblieben!

Ich fürchte um die gute Ernte, weil er soviel Geäst entfernte.

Ich sollte doch Vertrauen haben, es sei auch nicht zu meinem Schaden.

Das Öl wird sprudeln, du wirst sehn,

und jetzt wird’s  Zeit, du solltest gehn.

 

Dem Baum auf dem Foto wird ein Alter von 200 – 250 Jahren nachgesagt. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er auf einem etwa zwanzig Kilometer entfernten Feld.

Warum steht er jetzt hier?

Nachzulesen in „Zuweilen singt die Callas“ Seite 214, Amicizia – Freundschaft.

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Dreieinhalb Stunden brauche ich mit dem Zug nach Mailand.

Da muss ich nicht lange nachdenken, solche unkomplizierten Kurztrips gönne ich mir zwischendurch. Die werden noch wertvoller, wenn man auf eine liebe Freundin trifft. Also zwei Frauen – zwei Tage Milano. Albrecht Dürer war auch da, den haben wir uns natürlich angeschaut. Wunderbar!

Aber auch die Klosterkirche San Maurizio hat uns begeistert, worauf wir einen Cappuccino im historischen Caffè Marchesi (man erlebt eine kleine Zeitreise!) getrunken haben. Dieses Flair wurde auch entlang des Corso Magenta noch bedient und wir haben so manche Türglocke zum Läuten gebracht, weil wir es nicht lassen konnten, in die kleinen Geschäfte mit den einladenden Schaufenstern auch reinzugehen.

Um die Kirche Sant’ Ambrogio herum überraschte uns ein kleiner Kunsthandwerkermarkt „Flora et Decora“, wo unter anderem auch Blumen verkauft wurden, die so richtig Frühlingslaune machten, als die Sonne endlich rauskam, nachdem sie uns bisweilen nicht unerheblich im Stich gelassen hatte. In der Abteilung „Decora“ fanden wir außergewöhnliche Ohrringe. Wir hatten die Qual der Wahl und schließlich Schmuck im Kästchen. Das Hauptmaterial war Rochenhaut. Meine Freundin mag keinen Fisch. Aber vielleicht macht es doch einen Unterschied, ob er auf dem Teller liegt oder am Ohr hängt!

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Ohhh, … ihr habt das aber schön!

 

Das sind die Ausrufe unserer vielen Besuche, die bevorzugt im Sommer eintreffen. Dann liegt das Frühjahr schon hinter uns, die Rückenschmerzen sind weggeturnt, die Fingernägel vom Permanentschmutz befreit und nachgewachsen und die Kratzer auf der Haut verheilt.

Noch stecken wir mittendrin, arbeiten uns parzellenweise voran, schneiden, zupfen, hacken, graben, vertikutieren, düngen, spritzen und entsorgen, was sich dabei so alles auftürmt. Es ist ein alljährlicher Wettlauf gegen die explodierende Natur und ich sehne mich nicht selten nach einem übersichtlichen Reihenhausgärtchen.

Wenn wir es dann aber geschafft haben (zumindest was den Großeinsatz angeht), dann sitzen wir nach den harten Wochen auf der Westterrasse bei einem Gläschen Wein, schauen der dahinschwindenden Sonne zu,  und sagen uns:

Oh, … wie haben wir das aber schön!

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Wir sind Schönwetterwanderer.

Und da das Wetter in Italien ziemlich oft schön ist, sind wir auch ziemlich oft unterwegs. Der Apennin liegt quasi vor der Haustür. Ich will nicht behaupten, er sei unser Vorgarten, aber wir kennen uns darin so gut aus, wie in unserem Vorgarten.

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Es gedeiht nicht nur das Unkraut … Der Mühe Lohn hat viele Farben. Zwischendurch haben wir auch mal Zeit hinzugucken.

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Mai

 

PRIMO MAGGIO

 

Heute ist der erste Mai. Festa del lavoro. Tag der Arbeit.

Arbeit haben vor allem die Frauen, weil sie all das Essen zubereiten müssen, das an diesem Tag verspeist wird. Das ist nicht wenig, da kleckern die Italiener nicht, zumindest im übertragenen Sinne nicht. Ich weiß, wovon ich rede, wir haben nicht nur einmal diese Völlerei im großen Kreis mitgemacht. Das war in den ersten Jahren unseres Italiendaseins. Da gehörten wir noch zur Familie unseres Hausverkäufers, da wurde AMICIZIA noch großgeschrieben (die Aufkündigung der Freundschaft ist auf Seite 214 in „Zuweilen singt die Callas“ nachzulesen).

Um die Freundschaft tut es uns leid, über den wiedergewonnenen ersten Mai freuen wir uns.

„Cosa fate al primo maggio?“ Jedes Jahr fragt mich meine Nachbarin, was wir am ersten Mai machen. „Niente“, sage ich dann, …“nix“!

„Ohhh …“ sagt sie dann und das klingt immer ein bisschen traurig.

„Ist für uns nicht wichtig“, sage ich dann, damit sie keinen Grund hat, traurig zu sein. Aber weil sie dann immer noch traurig ausschaut, frage ich sie, was sie am chinesischen Neujahr machen.

„Capodanno cinese?“ da würden sie nix machen, sei für die Italiener nicht wichtig.

Und so erkläre ich ihr jedes Jahr, dass für uns der erste Mai nicht wichtig ist.

Gestern habe ich sie wieder fragen müssen, was sie am chinesischen Neujahr machen …

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Gestern kam ich aus Berlin.

Heute stand ich in Italien im Garten und in der Küche. Mehr Kontrastprogramm geht nicht. Meine braun verfärbten Finger werden mich noch ein paar Tage an meinen Einsatz erinnern. Das Zucken (eine Begleiterscheinung, wenn man hundertfünfzig Artischocken entblättert) wird morgen verschwunden sein.

Die Italiener verhalten sich in Sachen Artischocken, wie wir Deutschen beim Spargel. Man tobt sich in der Saison aus.

Ich bin froh, dass unsere Haupternte schon unter Öl liegt. Der Winter kann kommen. Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf den Sommer …

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Die Oliven blühen.

ich will nicht behaupten, dass wir das ignorieren. Aber wir haben es uns über die Jahre abgewöhnt, immer wieder die Bäume abzugehen, um die Vorfreude auf eine gute Ernte zu schüren. Zwischen der Blüte und der Ernte liegen gute fünf Monate und die Hoffnung am Ende möglicherweise brach. Abgesehen davon, dass nicht aus jeder Blüte ein Früchtchen wird, kann es zu Kälteeinbrüchen kommen oder es mangelt an Wasser oder, und dabei handelt es sich um den wiederlichsten Zwischenfall, die Olivenfliege sticht zu. Sie kommt nicht alleine, bringt jede Menge Kollegen mit und die bohren emsig Löcher in die schon zu unserer Freude gut entwickelten Oliven und legen Eier ab. Vor zwei Jahren fielen nach der Invasion alle Oliven von den Bäumen und die Ernte aus. Emotional (im positiven Sinne) reagieren wir nur noch, wenn das Öl in Dosen ist. Vorher üben wir uns in Gleichgültigkeit. Fast …

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Ich habe mich noch nie über Asphalt gefreut.

Geht aber. Freue mich über jeden laufenden Meter, der sich hier in Italien über die Schlaglöcher legt. Die Rechnung über 400 € für die Reparatur eines angeschlagenen Radlagers steigert meine Emotionen (neue Straßenbeläge betreffend) ins Unermessliche. Dass sich auf dem frischen Anthrazit noch keine weißen Markierungslinien befinden … also diesbezüglich bin ich ziemlich emotionslos!

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Juni

Heute waren wir in Pescara.

Nicht, weil die Stadt eine Reise wert wäre, sondern, weil sie einen Flughafen hat und wir dem Besuch zugesagt hatten, ihn abzuholen. Die Ankunftszeit kam uns entgegen, ein ganzer Tag lag vor uns, den wir den Abruzzen widmen wollten. Wir fuhren vierzig Kilometer über die Flughafenstadt hinaus, wegen der Trabocchi, den Pfahlbauten die man einst ins Meer gesetzt hatte, um den Fischfang zu optimieren. Einige wurden über die Jahre zweckentfremdet. Jetzt sitzt man drinnen und ißt Fisch. Wir auch. Um das Menü kam man nicht herum. Drei Stunden, dreizehn Gänge, die letzten vier haben wir uns einpacken lassen. Der Wein war inclusive. Zum Sightseeing waren wir nicht mehr in der Lage. Während wir im Auto den Ankunfstzeiten entgegenschliefen, zog ein ordentliches Gewitter über uns hinweg. Wir erzählten dem Besuch, dass das der Grund gewesen sei, warum wir nicht mehr von den Abruzzen mitnehmen konnten. Finde ich gar nicht so unrealistisch …

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Heute habe ich Rosen geschnitten.

Das werde ich auch morgen tun und übermorgen und … Wir haben viele Rosen in unserem Garten in Italien. Wenn sie blühen, können wir uns daran sattsehen. Wenn sie verblüht sind, gibt es richtig Arbeit. Nicht wie in den Rosamunde Pilcher Filmen (die schauen wir uns gelegentlich auf italienisch zum Sprachtraining an), wo die Hausherrin mit Strohhut auf dem Kopf und Körbchen in der Hand über den taufrischen Rasen schreitet und zum Schnitt ansetzt. Ich bin mit der Schubkarre unterwegs und träume lediglich vom Buttler, der mir eine Tasse Tee vorbeibringt. Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken …

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Heute habe ich Gäste.

Ich brauche Seeteufel, möchte ihn frisch kaufen, mache mich am Morgen auf den Weg. Der direkte ist gesperrt, weil ein schweres Einsatzfahrzeug all das abschneidet, was an Vegetation auf die Fahrbahn ragt. Ich ignoriere das Durchfahrtverbot, verlasse mich auf mein deutsches Nummernschild, aber man nimmt keine Rücksicht, ob ich nun verstehe oder nicht: ich werde ausgeschimpft. Im nächstgelegenen Supermarkt gibt es keinen Seeteufel. Ich fahre weiter, wegen der Erdbeeren zum Nachtisch vom Bauern, will aber vorher noch tanken, weil mir das mein Mann aufgetragen hatte. Die Schlange an der Tanke reicht schon knapp auf die Straße, ich würde also als nächste den Verkehr zum Erliegen bringen und beschließe die Sache mit dem Benzin auf der Rückfahrt zu erledigen. Der Bauer hat keine Erbeeren mehr, “devi venire presto la mattina” und weil der frühe Morgen aber schon um ist, fahre ich ein Stück weiter zur bekannten Gärtnerei, weil mir eine Geranie fehlt. Hier würde ich auch am frühen Morgen kein Glück mehr haben, es gibt einfach keine Geranien mehr. Auf der Rückfahrt steht ein alles einnehmender LKW an der Tankstelle. Dann hat mein Mann eben Pech gehabt, denke ich und bin glücklich im übernächsten Supermarkt auf Seeteufel zu stoßen. Am anderen Ende der kleinen gesperrten Straße (sie bedeutet eine enorme Abkürzung für den Nachhauseweg!) steht kein Schild mehr, aber ein Lieferwagen. In der Annahme, dass man mit der Säuberung schon durch ist, setze ich den Blinker, aber der Mann vom Lieferwagen winkt ab und erklärt mir die Alternative. Die kenne ich und weil auf der Strecke viel Zeit zum Nachdenken bleibt, fällt mir ein, dass ich von der Nachbarin noch Eier mitnehmen könnte. Die Nachbarin ist nicht da …

Ich weiß, das hätte mir auch überall auf der Welt passieren können, aber es ist mir in Italien passiert. Mein italienischer Alltag eben …

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Mein Freund der Baum ist tot …

Die Aprikosen liegen auf der Wiese. Er hat es nicht mehr geschafft, sie zur Reife zu bringen. Monilia heißt die Krankheit, auf deutsch Spitzendürre. Ein Glas der geliebten Aprikosenmarmelade vom Vorjahr steht noch im Regal. Ein Andenken, das wir sparsam auf den Frühstücksbrötchen verstreichen werden.

… er fiel im frühen Morgenrot … sang Alexandra. Bei uns wird er im Herbst fallen und uns im Winter ein paar Tage wärmen, wenn wir im Kamin die Feuerbestattung vornehmen.

Du wirst dich nie im Wind mehr wiegen …

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Was heißt eigentlich besucherfreundlich?

Meist handelt es sich um Gebäude, die besucherfreundlich gestaltet sind. Vor drei Tagen habe ich in unser Gästeapartment reingeschaut. Eigentlich musste ich nicht reinschauen, weil mir vor der Tür schon klar wurde, was mich drinnen erwarten wird. Manchmal freut man sich, wenn Erwartungen erfüllt werden. Aber eben nicht immer. Bis heute habe ich daran gearbeitet, all das zu entfernen, was sich dort über die Wintermonate eingenistet hatte. Ein Haus muss bewohnt werden, sonst verkommt es.

Morgen kommt Besuch.Der bewohnt dann, was ich besucherfreundlich gestaltet habe …

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Trotz angesagtem Besuch: es muss weitergehen …

Während das Ossobuco für den Abend im Ofen schmort (das darf es Gott sei Dank über zwei Stunden), fuhren wir heute mehrmals zum Wertstoffhof centro di riciclaggio und haben die erfrorenen Teile des Oleanders säckeweise in dem dafür vorgesehenen Container entsorgt. Mein Mann säubert die Büsche unermüdlich. Die Hoffnung, dass die Äste mit dem braunen Blattwerk nach dem Schnee im Winter sich im Frühjahr wieder ins Leben zurückmelden, starb dann wirklich zuletzt. Unser mediterranes Buschwerk schaut jetzt amputiert aus, bemüht sich aber am Restgeäst um Blüten. Die Hoffnung stirbt doch zuletzt …

Juli

Feigenmarmelade schmeckt langweilig.

Weil keiner von uns langweilige Marmelade essen möchte, haben wir die Früchte in den letzten Jahren ausschließlich roh gegessen. In diesem Jahr kommen wir mit dem Rohessen nicht hinterher. Die Äste biegen sich unter der Last und auch ich musste mich beugen und mich der Verwertung stellen, wenn ich sie nicht gleich kompostieren wollte. Der Langeweile setzte ich Kreativität entgegen. Dabei halfen mir Orangen, Zitronen, Pflaumen, Erdbeeren, frischer Ingwer, kandierter Ingwer, Rotwein und Lavendel. Mir scheint, dass wir über Jahre davon zehren werden, und ich mag nicht auf den zweiten Baum schauen, der uns ab Mitte August mit seinen Früchten beglücken wird. Es kommt jedes Mal einer Drohung gleich, wenn ich dran vorbeilaufe …

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Das erste Mal in diesem Jahr am Strand.

Lediglich als Strandläufer. Danach Wocheneinkauf getätigt und schnell wieder nach Hause, um mich um die Zucchini zu kümmern.

Irgendwas machen wir falsch …

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Zucchini schreibt man mit Z.

Das ist der letzte Buchstabe im Alphabet und auch das Gemüse rangiert bei uns an letzter Stelle, wenn ich Lieblingssorten aufzählen sollte. Zucchini stehen nie auf meinem Einkaufszettel, aber wenn die Gartensaison beginnt, kommen bei uns drei Pflänzchen in die Erde. Drei, weil wir zwei durchbringen wollen, denn in der Regel verabschiedet sich eins, bevor es wunderbare Blüten treibt. Die verbleibenden zwei liefern dann den ganzen Sommer hindurch und ich glaube, es ist die Zuverlässigkeit und das daraus resultierende Erfolgserlebnis, das das Pflanzen zur Zwangshandlung werden läßt.

In diesem Jahr erlebt das Ganze eine Steigerung. Zum einen sind alle drei Pflanzen durchgekommen, zum anderen wollte mein Mann die freie Fläche, wo die alten Erdbeeren weichen mussten, nicht brach liegenlassen und kaufte zwei weitere Pflänzchen die jetzt hinterherwachsen und die Erntezeit verlängern würden, was er mir nicht ohne Stolz mitteilte. Möglicherweise dachte er dabei nicht an die Konsequenzen, die er nun täglich mittragen muss. Zucchinisuppe, Zucchinirisotto, Zucchiniflan, Zucchinifrittata, Zucchini gefüllt, Zucchini im Salat.

Gerne würde ich welche einfach nur verschenken. Es gibt aber niemanden, der dankbar wäre. Heute fragte mich meine Nachbarin, die, die das mit dem chinesischen Neujahr nicht versteht, ob ich Zucchini haben wollte. Jetzt kann ich meine Nachbarin nicht verstehen …

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Fünfundzwanzig gefahrene Kilometer, zerkratzte Beine, eine verlorene Sonnenbrille, ein Sommerkleid bestückt mit über einer Million kleiner Kletten, 350 Milliliter Holunderbeerensaft.

Das ist keine gute Bilanz. Ich war zu spät in diesem Jahr. Musste mich durch ein Sonnenblumenfeld schlagen, um an meine „Jagdgründe“ zu gelangen. Die Dolden hingen schlaff an den Büschen, die meisten Beeren vertrocknet, die noch brauchbaren in unerreichbaren Höhen.

Vier Gläser Marmelade, aber auch nur, weil ich die fehlende Fruchtmenge mit Fremdobst ergänzt habe. Zur Kompensation schnitt ich großzügig Sonnenblumen vom Feld für die Vase. Ich weiß, der Bauer kann nichts dafür, …

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Bevor wir eine Katze hatten, hatten wir jede Menge Eidechsen.

Die Menge hat sich gewaltig reduziert und die Hälfte vom Rest hat keinen Schwanz mehr. Das liegt an unserer Katze, die hinter allem her ist, was sich bewegt. Und weil die Eidechsen das wissen, werfen sie bei Gefahr ihren Schwanz ab, der dann körperlos rum zuckt und die Aufmerksamkeit der Katze auf sich zieht, während sich der andere Teil aus dem Staub macht.

Das gelingt leider nicht immer …

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Diese Temperaturen nenne ich human, also erträglich. Wir sind zufrieden mit diesem Sommer, in dem wir lediglich die Medikamente in den Keller bringen mussten, weil sie im Schnitt eine Lagertemperatur über 25 Grad nicht mögen. Wir hingegen „lagern“ weiterhin ganz entspannt in unseren Betten, mussten noch nicht mit den Matratzen zu den Medikamenten umsiedeln. Das Leid der Freunde und Familie in Deutschland können wir nachvollziehen. Ein Jahrhundertsommer.

Vielleicht machen die Italiener in Zukunft Urlaub an der Ostsee …

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Unsere Enkelkinder sind da.

Ich liebe meine Enkelkinder und meine Enkelkinder lieben unseren Pool, aber auch ihre Oma. Die muss dann mit ins Wasser und darf nicht raus, weil sie ja noch keine blauen Lippen hat, … der Indikator der mitgereisten Eltern für ihren plantschenden, schwimmenden und tauchenden Nachwuchs. Dass das Schrumpeln meiner Finger keine Steigerung mehr erfahren kann, interessiert sie nicht.

Die dürfen sich wieder entfalten, wenn wir wandern. Das machen die drei (7,6,4) ganz wunderbar! Ob Höhenmeter oder Strecke (da schüttelt so manch entgegenkommender Wanderer den Kopf), ein Durchhaltevermögen wie im Wasser…

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Aus Erfahrung würde man klug werden, heißt es.

Als Kind durfte ich berechtigt in Panik verfallen, wenn die Bauern die Felder pflügten. Das war ein sicheres Zeichen, dass der Sommer vorbei war. Hier in Italien wird schon im Juli die Erde mit schwerem Gerät umgebrochen. Angefangen bei den Stoppelfeldern, die dann braun und mit aufgeworfener Scholle das Landschaftsbild verändern. Auch wenn ich drum weiß, dass der Herbst noch in weiter Ferne liegt, die Panik aus Kindertagen ploppt auch heute noch auf, wenn das monotone Geräusch der Maschinen tagelang die Hügel vertont.

Heißt das jetzt, dass ich blöd bin?

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August

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Nach dem Besuch ist vor dem Besuch.

 

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Wir warten auf Regen.

Das tun wir jedes Jahr während der Sommermonate. Mal mehr, mal weniger. Momentan mehr. Hauptsächlich wegen der Pflanzen in unserem Garten. Wir können sie nicht alle wässern. Manche müssen durchhalten, während wir Mitleid entwickeln, was allerdings, wie so oft im Leben, nicht wirklich hilft …

Es regnet!

Achtundvierzig Liter in fünfundvierzig Minuten. Das sind aufgerundet fünf Gießkannen auf einen Quadratmeter. Flächendeckendes Glück. Wir waren den Tränen nah. Hätten wir sie laufen lassen, hätte ich nicht aufrunden müssen …

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Ferragosto.

Das dazugehörige Datum ist der 15. August. Großzügig betrachtet sind es 2-3 Wochen, die sich um diesen Tag gruppieren, und in denen der Großteil der Italiener seinen Sommerurlaub verbringt.

In diesem Zeitraum ist es ratsam von einem Strandbesuch abzusehen, man würde eh kaum eine Liege, geschweige denn, Schatten bekommen. Das Lieblingsrestaurant sollte man meiden (es könnte seinen Status verlieren!), überhaupt sollte man es vorziehen, zuhause die Mahlzeiten zu sich zu nehmen, der Ansturm geht in der Regel zu Lasten der Qualität.

In diesen Wochen sollte man sich auch nicht zum längst fälligen Frisörtermin durchringen (auch Luigi, Luca, Fabio oder wie immer sie heißen, werden irgendwo in der Sonne liegen), Zahnschmerzen am besten aussitzen. Rohrbrüche, Kabelbrände, Blech- oder Dachschäden (generell unwillkommene Zwischenfälle) werden zu Ferragosto zur Katastrophe.

Alle Welt liegt am Strand, ein geringerer Teil zieht die Bergwelt vor, … sprich, der Italiener ist unterwegs, das normale Leben befindet sich im Ausnahmezustand.

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September

Spätsommertage

Die Landschaft ist braun, das Licht milde, das Restgrün leuchtend, die Temperaturen moderat, das Haus endlich wieder runtergekühlt, die Tage kürzer, die Nächte durchschlafen, …  die Trauer groß.

Endlich ist alles so, wie ich es ersehnte, als es vor der großen Hitze kein Entkommen gab. Warum dann trauern? Es ist wohl das Wissen um den Abschied und die Furcht vor der kalten Jahreszeit.

Ich sollte den Kopf nicht so hängenlassen, wie die Sonnenblumen, die wie Unschuldige in der Gegend rumstehen und aufs Geköpftwerden warten.

Ich sollte die Spätsommertage genießen, die bis weit in den Oktober hineinreichen können. Ich sollte mich freuen …

Tu ich doch!

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Es tut sich was.

Was lange währt … unser Stromanbieter hat sich nach langem Kampf offensichtlich zum Ausbau des Netzes durchgerungen. Man hat Material abgeladen. Zwei Masten aus Metall liegen im abgeernteten Sonnenblumenfeld. Schritt eins …

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Endlich Urlaub! Sardinien … und ohne Worte!

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Aufgestellt und ausgepackt.

Welch eine Freude, keine Trauer, weil der Urlaub vorbei ist.

Wird nun endlich alles gut, was solange währte? Das Feld gepflügt, die Masten stehn, dann wird das mit dem Strom bald gehn.

Oktober

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Heute habe ich Feuer im Kamin gemacht.

Auch mein Pappmache-Mann schaut traurig aus. Dauerregen zum ersten Oktober. Viel zu früh. Ich möchte noch keine Wollpullover tragen und ich möchte mir auch nicht anhören müssen, dass es kein schlechtes Wetter gibt, sondern nur falsche Kleidung …

Das Öl ist in Dosen!

Zugegeben, wir waren nicht so gleichgültig, was die Beobachtung der Entwicklung unserer Oliven angeht, wie ich das im Mai erwähnte. Wir mussten in den Sommermonaten feststellen, dass nicht alle Bäume gleich trugen, manche sogar gar nichts. Das hatte mit der Frostnacht im März zu tun, die hatte Schäden hinterlassen. So war nicht sicher, ob wir die geforderte Mindestmenge von vier Zentnern für die Ölmühle zusammenbekommen. Und als wir die ersten Olivenfliegen sichteten, ging es nur noch darum, ihnen zuvorzukommen. Das heißt, wir haben die Ernte vorverlegt. Drei Tage haben wir von Hand gepflückt. Ein knappes, aber ausreichendes Ergebnis bescherte uns fünfunddreißig Liter Öl. Klingt viel, ist aber wenig für all die Mühen, die dahinterstecken. Dann frage ich mich immer, was sich in den Literflaschen beim Discounter für 6,25 € befindet. Bio Olivenöl nativ extra? So zumindest steht es auf dem Etikett …

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Gestern war ich im Kino.

Da ich nun schon mal im Städtchen war, besorgte ich Knöpfe im Kurzwarenladen und brachte ein Bild zum Rahmen. Das Personal trug wattierte Anoraks, der Herbst hatte auch in den Läden Einzug gehalten. Beim Glas Wein und den Stuzzichini in der Bar behielt ich meinen Mantel an und zog ihn auch im Kino nicht aus. Das war nicht der Grund, warum ich mal wieder nicht alles verstanden habe …

November

In sechs Wochen ist Weihnachten.

In der Regel wird die Stimmung schon durch die ersten Lebkuchen und Spekulatius Ende August beansprucht, wenn man sie in den Regalen der Supermärkte entdeckt. Ich versuche sie nicht zu entdecken, was in Italien nicht so schwerfällt, denn hier beginnt der Vorverkauf erst Ende Oktober, und aufgestapelte Panettone lösen bei mir immer noch nicht Assoziationen wie Lebkuchen oder Spekulatius aus. So ganz langsam würde ich mich allerdings gerne einer zeitlich angebrachten Weihnachtsstimmung hingeben, wären da nicht die unpassenden Wetterkonditionen. Ich weiß, es gibt weiß Gott andere Probleme …

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Ich war ein paar Tage in Rom. Mit dem Zug.

Zugfahren in Italien ist preiswert. Für 16,20 Euro in dreieinhalb Stunden einmal quer durch den Stiefel. Über den Apennin hinweg und streckenweise durch ihn hindurch. Ich liebe Zugfahren. Wenn ich nicht rausschaue, schaue ich in mein Buch, das ich mir für die Reise ausgesucht habe. Lesen ohne schlechtes Gewissen, … weil doch noch so viel anderes zu tun wäre. Im Zug muss man nichts tun. Im Zug muss man nur sitzenbleiben, bis man ankommt.

Und dann habe ich mich ins Großstadtgewusel gestürzt. Mir tut das gut, nach jeder Menge Landleben. Rom ist unerschöpflich. Es gibt immer wieder Gründe, sechzehn Euro zwanzig hinzulegen …

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Heute versinkt alles im Dunst.

Das sind die Tage, an denen ich während der Wintermonaten in den Bars und ungeheizten kleinen Lebensmittelläden noch mehr friere, als gewöhnlich. Dann denke ich an nette Cafés in Deutschland, wo man sich durch Gratis-Illustrierten blättern kann, während man an einer heißen Schokolade mit Sahnehaube nippt.

Manchmal versinken wir tagelang in dickem Nebel. Dann erinnere ich mich daran, als unser Ältester uns vor Jahren zur Zeit des Renovierens das erste Mal besuchte. Eine Woche lang durften wir uns über seine Anwesenheit freuen. Er sah, was wir schon geleistet hatten und er sah, was es noch zu leisten gab, aber er sah nicht, in welcher Landschaft sich unser Haus befand.

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Dezember

Das schaut hässlich aus.

Befindet sich aber erfreulicherweise nicht in unmittelbarer Nähe zu unserem Haus, allerdings nahe genug, um auch uns endlich mit der Strommenge zu versorgen, die wir brauchen.

Kekse backen und gleichzeitig Weihnachtsmusik hören, während die Waschmaschine läuft und die Wärmepumpe sich um die Fußbodenheizung kümmert. Das ging noch nie!

Oh du fröhliche, oh du selige …

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Weihnachten steht vor der Tür.

Und auf unserer Terrasse ein Tannenbaum. Nichts Edles, das bekommt man hier in Italien nicht. Es sind die kurznadeligen mit Wurzelballen, die in der enganliegenden Netzverpackung auf einen Käufer warten, der sie mit nach Hause nimmt. Wir haben einen mit nach Hause genommen. Auch ohne Netz bleiben die Äste erst einmal da, wo sie möglicherweise schon vor Wochen hingezurrt wurden. Nur mit aufgelegten Gewichten (quasi ein orthopädischer Eingriff) und genügend Zeit, bekommen wir sie in eine Position, die ein Schmücken zulässt.

Sind wir im Januar in Deutschland und die ausgedienten Edeltannen liegen abholbereit in sattem Grün und dicht benadelt am Straßenrand, möchte ich sie einsammeln.

Ich bin eine überzeugte Europäerin.

Nach einigen Jahren in Asien ist mein Zugehörigkeitsgefühl gewachsen. Da wurde Europa zur Heimat. Auch wenn die großen Ketten mittlerweile weltweit die Einkaufszonen bestimmen, die kulturelle Vielfalt ist noch nicht unter die Räder gekommen.

Das zeigt mir das weihnachtliche Sortiment im Supermarkt. Alles mit Neugierde probiert und einiges liebgewonnen. Nur an den gefüllten Schweinefuß habe ich mich noch nicht rangetraut …

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Heute kam das letzte Blech aus dem Ofen. Morgen kommen die Enkel.

Während der Adventszeit ging ein Hilferuf durch die sozialen Netzwerke. Wie organisiert ihr die Zutaten fürs traditionelle, deutsche Weihnachtsgebäck in Italien? Da gab es Vorschläge, wegen der fehlenden Oblaten die örtliche Pfarrei aufzusuchen, das Kokosfett bei Amazon zu bestellen und Marzipanrohmasse habe man schon bei Ikea gesichtet. Ich habe 15 Sorten gebacken. Ich hätte weitere 15 Sorten backen können und hätte immer noch kein Problem mit den Zutaten gehabt. Ich habe in vielen Auslandsjahren gelernt zu improvisieren. Meine Kekse sehen weder provisorisch aus, noch schmecken sie so. Frohe Weihnachten …

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