KOBE
Florian war ein Arsch und Kobe hat einen richtig schönen.
Florian hatte eine weiße Stretch Limousine. Kobe hatte gar nichts, nicht einmal eine Aufenthaltserlaubnis.
Die Stretch-Limo hat sich Florian von Opas Geld gekauft. Das hatte er seinem Lieblingsenkel vererbt. Wobei die Sache mit dem Lieblings keine große Entscheidung abverlangte. Wenn es nur einen Enkel gibt, ist auch nichts da, um Vergleiche zu ziehen. Kann aber auch sein, dass Florian nur profitierte, weil der Opa dem eigenen Sohn nichts hinterlassen wollte, denn der hatte sich einen Scheiß gekümmert.
Mit der Stretch-Limo würde er jetzt das große Geld machen, hat Florian gesagt. Hochzeiten und so, und dann könnte er auch mal was zur Miete beitragen. Manchmal kam er von den Hochzeiten gar nicht mehr nach Hause und schlief in der Stretch-Limo. Wegen dem Alkohol … der kann mir viel erzählen! Und weil er immer noch mietfrei bei mir wohnte, habe ich seine gesamten Klamotten in die Scheiß-Stretch-Limo gestopft. Ob er nicht doch … Ich hatte NEIN gesagt, bevor er den Satz beenden konnte.
Das ist jetzt ein Jahr her.
Und es ist jetzt auch schon fast ein Jahr her, dass ich nicht mehr Brettschneider mit Nachnamen heiße, sondern Obi. Über die Baumarkt-Witze rege ich mich schon lange nicht mehr auf. Dafür gibt es zu viel anderes, über das ich mich aufregen kann.
Kobe heißt Obi mit Nachnamen. Kobe habe ich im Park kennengelernt, nachdem das Schloss von meiner Wohnungstür ausgewechselt wurde und ich mir mit dem Restgeld, das mir der Schlüsseldienst in die Hand gedrückt hatte, bei McDonald’s einen Hamburger Käse Royal kaufte. Ich hatte keine Lust auf Leute und habe mich mit der Schachtel in den Park gesetzt. Es war schon dunkel, und weil ich dachte, da steht eine Tüte mit Müll, hab ich meinen gleich mit reingedrückt. Das waren aber Kobes Sachen, die in der Tüte steckten, und er lag hinter der Bank und steckte in einem stinkenden Schlafsack. Warum soll es gleich zwei Leuten scheiße gehen, habe ich mir gedacht und Kobe mit nach Hause genommen. Ich weiß, das war leichtsinnig, aber ich hatte das Gefühl, an dem Tag schon einiges richtig gemacht zu haben.
Wir sprechen beide nicht gut Englisch. Naidschiria sagte er, und erst nachdem er es mit zittrigen Fingern aufgeschrieben hatte, wusste ich, dass er aus Nigeria kommt. No asylum. Die halbe Nacht saßen wir vor dem Computer und haben uns vom Google Übersetzer ein bisschen was über unsere Leben ausspucken lassen. Das war nicht immer zum Lachen, aber wir haben trotzdem viel gelacht. Kobe hat blitzweiße Zähne. Wenn er nicht so eine dunkle Haut hätte, wäre er der Kandidat für Zahnpastawerbung.
Zahnpasta und Bürste habe ich ihm dann gegeben. Ich war hundemüde, musste am nächsten Tag ja wieder um halb sieben raus. Kobe weinte mit der Zahnpasta und der Bürste in der Hand. Don’t cry, habe ich ihm gesagt, everything ok. Dann habe ich ihm ein Kissen und eine Decke aufs Sofa gelegt, und er hat noch mehr geheult. Ohne sich zu schämen. Ich glaube, das Schämen war ihm unterwegs irgendwo abhandengekommen.
Das mit dem Weinen ging noch ein paar Tage so, wurde aber immer weniger. Er war dann mehr damit beschäftigt, sich in meiner Wohnung unsichtbar zu machen. Tagsüber war dem Sofa überhaupt nicht anzusehen, dass nachts jemand drauf geschlafen hatte. Ich wollte aber nicht, dass er sich eines Tages wirklich auflöst, und weil ich keine anderen Heiratspläne hatte, habe ich Kobe geheiratet, damit er in Deutschland bleiben kann. Habe einfach JA gesagt. Er hat mich mit seinen dunklen Händen an den Unterarmen gepackt und mehrfach thank you geheult. Mir war das peinlich, auch weil ich an Marmorkuchen denken musste, als ich seine Schokoladenhände auf meiner hellen Haut sah.
Für die Hochzeitsfeier habe ich all mein Erspartes zusammengekratzt. Die sollte echt aussehen, nicht einfach mal schnell in Jeans zum Standesamt.
Die Einladungen habe ich auf schwarzem Conqueror Hammerschlag/ 300 Gramm mit Goldbuchstaben drucken lassen. Der Mercedes unter den Papiersorten, hat mir der Freund von Heiko gesagt. Heiko ist ein Kollege aus der Anzeigenabteilung. Sein Freund arbeitet in einer Druckerei, der hat mir den Mercedes zum Sonderpreis gelassen.
Ich fand das sehr nobel von Heiko, dass er mir diese Connection verschafft hat. Heiko war immer hinter mir her. Aber Heiko ist rothaarig und wird im Sommer nie braun. Ich sagte ihm, dass wir schon farblich nicht zusammenpassen. Einen Kommentar zu Kobe konnte er sich nicht verkneifen.
Achtunddreißig Gäste haben mit uns in der Linde fast bis zum Sonnenaufgang gefeiert. Die Stimmung war mega, und irgendwann hatte ich sogar vergessen, um was es geht.
Kobes Anzug hat mich am nächsten Tag auf dem Weg zum Klo daran erinnert. Der schwarze Zweiteiler hing ordentlich auf dem Kleiderbügel an der Garderobe im Flur. Kobe lag auf dem Sofa.
Kobe lag jede Nacht auf dem Sofa, und Kobe kochte für mich Ikokore aus Süßkartoffeln und Fisch. Zum Deutschunterricht ging er von Montag bis Freitag und brachte immer neue Wörter mit nach Hause. Kobe lernt schnell.
ZUGEHÖRIGKEIT. Ich fand das total süß, wie er das aussprach.
Ich gehöre zu dir, sagte Kobe, und dass er mich liebe.
Das war so nicht ausgemacht. Das habe ich ihm gesagt.
Von da an fühlte ich mich fast ein bisschen unsicher in meiner eigenen Wohnung. Nicht, dass ich Angst hatte, Kobe könnte über mich herfallen … in mir drinnen war irgendwie alles durcheinandergeraten. Ich schaute Kobe nicht mehr nur bewundernd auf seine schönen weißen Zähne. Kobe hat auch lange Wimpern und muskulöse Arme. Ich schaute heimlich auf seinen Hintern, wenn er den Tisch abräumte und mit dem Geschirr zur Spüle ging.
Einmal habe ich meinen Arm um seine Schultern gelegt, als wir zusammen auf dem Sofa saßen und im Fernsehen die überfüllten Flüchtlingsboote im Mittelmeer auf dem bewegten Wasser schaukelten. So ähnlich muss sich ein Stromschlag anfühlen. Ich bin an der Stromquelle einfach kleben geblieben, und es hat von Kopf bis Fuß gekribbelt. Seitdem schlief ich nicht mehr gut.
Neuerdings schlafe ich wunderbar. Neben Kobe, und der hält mich in seinen dunklen, muskulösen Armen. In die habe ich mich vor ein paar Wochen geworfen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Wir haben uns tatsächlich die Kleider vom Leib gerissen, an so was habe ich nie geglaubt. Dachte, das gibt es nur im Film oder in Büchern. Ich musste auch nicht mehr an Marmorkuchen denken, ich war fast ohnmächtig, und als ich wieder klar denken konnte, lagen wir wie zwei Schachfiguren auf meinem abgelaufenen Teppichboden.
Für morgen haben wir wieder in die Linde eingeladen. Achtunddreißig Gästen werden wir sagen, dass wir mit ihnen unsere Liebe feiern wollen, denn die fehlte beim ersten Mal. Bei der Druckvorlage für die Einladung habe ich nur das Datum ändern lassen. Conqueror Hammerschlag/ 300 Gramm, das ist es mir immer noch wert, und sogar noch viel mehr.