Ich muss mich diesem gejammerten Wunsch widersetzen – ich bin die angereiste Oma, und die hat sich angeboten, eine Woche den Alltag mit drei Kleinkindern zu übernehmen, weil der Papa zur Arbeit muss und die Mama ihre Prüfungen fürs zweite Staatsexamen in Jura ablegt. Die Kita lässt nur bis 9.00 Uhr ein, und das sind Vorgaben, die ich (nicht ganz uneigennützig) einhalten möchte.
Mit dem Weckerklingeln gegen 7.00 Uhr öffnet sich ein großzügiges Zeitfenster, welches ausreichen sollte, die drei aus den Schlafanzügen zu bekommen, Straßenkleidung anzulegen, bei der kleinen Mia die Windel zu wechseln, ein gemeinsames Frühstück einzunehmen, Zähne zu putzen, klebrige Münder abzuwischen und Schuhe und Jacken anzuziehen.
Aber da ist eine Hundertschaft von Comicfiguren die meine Pläne durchkreuzen, und gehörig am Zeitfenster rütteln.
Fuchs und Löwe auf der Wegwerfwindel fangen damit an. Ich entnehme den Lauten Fus und Löe den Auftrag, die beiden erst einmal zu zeigen, während ich wie ein Löwe brülle, und mir vornehme, im Laufe des Tages zu googeln, welche Töne Füchse von sich geben. Ganz schnell ziehe ich über mein vollbrachtes Werk den Body, auf dem sich im Brustbereich ein Kätzchen zwischen zwei Herzen tummelt.
Kasse, sagt die kleine Mia, und zeigt mit ihren kleinen, dicken Fingern drauf. Miau, rufe ich, und streife einen roten Nickipullover drüber.
KASSE!!
Der Nickipullover wird hochgeschoben und das Kätzchen freigelegt. Ich mache mit einer Hose weiter.
Bume!
Wo ist eine Blume?
Mia weiß das, und zeigt auf den Knopf. Blume und Kätzchen muss ich nun dauerbewundern, was mir mit dem Wunsch nach „Budda“ gelingt abzubrechen. Budda ist Brot, und Essen zieht immer. Ich ziehe ihr ein Lätzchen an.
Nein. Dodo an!
Ich frage Lena nach Dodo, die mit fünf Jahren ganz große Schwester ist, aber immer noch in ihrem Schlafanzug steckt. Wir suchen gemeinsam nach Dodo, einem Lätzchen in Form einer japanischen Comicfigur.
Ich wähne Klein-Mia zufrieden, sie aber schreit Anpanman, bevor ich dem vierjährigen Tobi erklären kann, dass man Mitte September keine kurzen Hosen mehr anzieht. Ehe der sich dagegen wehrt, erklärt er mir, dass Mia den Anpanman-Teller haben möchte, ein Plastikteil mit aufgedrucktem Kinderhelden aus Japan. Das Brot liegt schon demonstrativ auf der Tischplatte, der falsche Teller auf dem Boden.
Lena ist inzwischen nackt und räumt eine Kommodenschublade aus, damit sie sich aus dem Sortiment, was sich über das helle Laminat verteilt, was Passendes aussuchen kann. Zur Hello-Kitty Unterwäsche sucht sie die Socken, die scheinen aber in der Wäsche, was sie nicht tröstet. Ich biete ihr Socken mit der Maus an, dazu gäbe es auch ein Longsleeve-Shirt , was wir gemeinsam suchen, während Mia nach Milch schreit und Tobi heult, weil er seine Jacke nicht findet, die mit dem Plastikmonster am Reißverschluss. Er ist weiterhin in kurzen Hosen und denkt auch nicht daran zu wechseln, weil da Krokodile drauf sind und die beißen das Monster vom Reißverschluss. Ich ziehe ihm eine lange Hose über die Kurze, weil die Krokodile sich verstecken müssen, falls das Monster auch mal die Krokodile beißen will. Mia bekommt Milch von mir, allerdings reihe ich fünf Becher mit den unterschiedlichsten Motiven vor ihr auf, damit ich gleich den richtigen auffülle. Sie wählt den mit dem Frosch, auf den aber erhebt Tobi brüllend Besitzanspruch, den ich aber mit der zwischenzeitlich gefundenen Monster-Reißverschlußjacke beruhigen kann. Das Zeitfenster hat beachtlich an Größe verloren, dafür hat Lena ein Kleid gefunden, womit die Sockenfrage geklärt wäre, allerdings noch eine Strumpfhose aufgetrieben werden muss. Das Suchen muss ich Lena überlassen, weil Tobi jetzt ein Frischkäsebrot mit Himbeermarmelade verlangt. Auch hier möchte ich bei der Tellerwahl nicht scheitern, der verfügbare Stapel scheint mir aber doch zu hoch, um eine Auswahl auf den Tisch zu bringen. Prinzessinnen, Tigerente, Frosch, Kleiner Bär, ganz viel Japanisches, Punkte und Blumen. Er möchte den Frosch, was mir einen kleinen Adrenalinstoß verpasst, weil der Froschbecher doch schon in fremden Händen ist. So schütte ich wortlos Milch in ein Glas mit blauen Punkten. Es geht!
Lena kommt mit der Strumpfhose, die sie nicht alleine anziehen kann, und während ich Bein für Bein zusammenraffe, damit der Kinderfuß flugs einsteigen kann, erklärt sie mir, dass sie kein Brot, sondern Haferflocken mit Joghurt möchte. Das Schalensortiment schlägt die Tellerauswahl um Längen und ich befürchte zusätzlich einen Nachahmeeffekt.
Mehr…! Schon schiebt die kleine Mia ihren Teller von sich und besteht ebenfalls auf Haferflocken. Durchs Zeitfenster fällt nur noch ein Hoffnungsschimmer.
Ich greife durch. Alleine schon der bebilderten Besteckauswahl wegen. Lena bekommt ein Butterbrot in die Hand und Milch aus einem Glas mit grünen Punkten. Ich erfahre schreiend, dass die grünen Punkte Tobi gehören, dabei belasse ich es aber. Es geht jetzt um Schuhe und Jacken, und zwar schnell und meinerseits kampflos. So läuft Mia mit den zu klein gewordenen Sommersandalen los, Tobi besteht auf eine viel zu dünne Regenjacke und Lena nimmt die schmutzige Lieblingsjacke aus dem Wäschekorb.
Die Haare sind nicht gekämmt, die Zähne nicht geputzt, ich hatte kein Frühstück, aber Gott sei Dank noch Tempos in der Tasche, um die klebrigen Münder abzuwischen, bevor ich auf die Klingel am großen Tor drücke und um Einlass bitte. Es ist eine Minute vor neun. Wir sind noch nicht zu spät!